Erna Dinklage.................
...Frühwerk 1920-1940 (Neue Sachlichkeit) - Spätwerk 1970-1990 (Arte Cifra).............................

 

 

 

Spätwerk (Arte Cifra)

Ölgemälde

 

 

 

 

 

 

Erstaunlich mag es erscheinen, dass sich Erna Dinklage im hohen Alter von 75 Jahren noch einmal auf ihre genuinen Fähigkeiten besinnt und nach 30 Jahren Suche den für sie richtigen Weg findet.
Sie schafft in absoluter Abgeschiedenheit auf dem Lande und fern der zeitgenössischen, vorwiegend sich abstrakt gebärdenden offiziellen bildenden Kunst ein eindrucksvolles, unverwechselbares Spätwerk, das weder formal, noch inhaltlich, noch in irgendeiner anderen Weise Berührungspunkte mit den alten Zielen der Neuen Sachlichkeit der 20er Jahre aufweist.

In diesen neuen Gemälden verschränken sich das Evidente mit dem Verschlüsselten, und in der formalen Durcharbeitung und ihrer koloristischen Differenzierung entstehen eindrucksvolle Werke eines großen schöpferischen Reichtums.


Auffällig ist die Kopflosigkeit der Gestalten.

Der Kopf wurde für Erna Dinklage ein Symbol des „kleinen Geistes“, wie sie es nannte, eines einseitig orientierten, ausschließlich des Zweckes und der Effizienz dienenden Verstandes, der den Menschen zerstört. Ihn will die Künstlerin nicht mehr darstellen. Der Kraft des Unbewussten, der Kraft des Herzens ist mehr zu vertrauen.
Der Mensch als geistiges Wesen indes wird nicht in Frage gestellt. "Kopflosigkeit" ist auch keine Absage an die Vernunft, sehr wohl aber an einen reinen Pragmatismus, dem das Gegengewicht der Gefühle abhanden zu kommen droht und mit ihm auch die innere Kraft und Leidenschaft zu rettenden Visionen. Diese Erkenntnis zur bildnerischen Gestaltung ohne Kopf wuchs im jahrelangen Bemühen, einen für sie richtigen Weg der Darstellung zu finden. Es war ein Prozess, ausgehend von Köpfen mit leicht reduzierten Gesichtern, über Köpfe nur mit Augen, an dessen Ende schließlich nur das Auge übrig blieb, als Sinnbild der inneren Sicht, als Fenster der Seele, eingebettet in den Körper.

Aus der Mitte des Menschen heraus will Erna Dinklage eine positive, helle Lebenssicht darstellen. So strahlen ihre Farben und die dargestellten Körper von einem verhaltenen inneren Leuchten.
Ungebrochen heiter stellt sich Erna Dinklages innere Welt jedoch nicht dar. Momente von Trauer, Vergänglichkeit oder Abgründigem schwingen mit. Wie Schattenflügel huschen sie über ihre Bilder, eine Welt, die sich in Traumgebilden und Imaginationen voller poetischer Anspielungen entfaltet.
Das Vegetative des Menschen und das Anthropomorphe der Natur antworten einander. Exemplarisch sei hier die Komposition "Sturm" (1976) angeführt: Die vom Unwetter bedrohten Bäume bekommen Hände und Füße, um sich in das Erdreich zu krallen und die Sturmböen abzuwehren.
Koloristisch besonders reich und im Aufbau differenzierter gestaltet sie das Bild "Der_große_Fisch" (1973), eine Darstellung, die zweifellos zu den überzeugendsten Werken dieser Phase zählt.
Komplementärkontraste, der Wechsel plastischer und malerischer Formen, die Rhythmisierung des Verhältnisses von Figur und Grund, sowie die ebenso bedeutsame wie sinnfällige Gestik verleihen der Szene eine große Lebendigkeit.
In diesem Gemälde wird die Ambivalenz des Lebens offenbar. Eine Hand der stehenden Frau empfängt den Fang freudig, während die andere Hand ihn traurig abwehrt.

Die Sprache der Gebärde, die Haltung des Körpers, und seiner Gestik kommt aus dem Unbewussten. Sie ist unverstellt und wahrhaftig. Dieses Anliegen der Künstlerin lässt sich an dem Bild "Zwei_Gestalten im_Regen" besonders gut veranschaulichen. Beide Frauen verbindet ein Geheimnis, symbolisiert durch die Masken. Die rechte Gestalt ist nackt, schutzlos und labil. Sie braucht eine starke Schulter, um sich anzulehnen und festzuhalten. Die Stellung ihrer Beine verrät, dass sie sich selbst im Wege steht. Die linke Gestalt hingegen ist stark und bodenständig. Der Freundin leicht zugewendet, fordert sie zum Weitergehen auf, gleichzeitig ergreift sie mit ihrer linken Hand den schützenden Schirm, während ihre rechte Hand die Argusaugen in den Fenstern abwehrt.
Schon allein die Körpersprache offenbart dem Betrachter, in welchem Verhältnis die beiden Freundinnen zueinander stehen.

Dr. Armin Zweite bemerkt in diesem Zusammenhang: "Betrachtet man die lange Reihe der Darstellungen, dann ist man immer wieder von dem Bemühen um kompositorische Komplexität überrascht." Als Beispiele, "Arbeiten von hohem Niveau" (Zweite), seien angefügt: "Musik und Harmonie", "Musik", "Liebesgarten", "Die_Flucht", "Der_Tanz um das goldene_Kalb", "Mädchen im_Gewitter", "Mädchen mit_Rad", "Jüngling_mit lächelnder_Wolke", "Am_Strand", "Die_Dichterin", "Wandernder_Stein", "Wüste", "Frühling"; sie sind gleichzeitig beispielhaft für die Tendenz zur formalen und ikonographischen Reduktion.
Kompositionen wie "Umarmung" und "Das Paar" gehen von zwei Gestalten aus, verschmelzen diese aber in halbfigurigen Gemälden zur Einheit.
Der andere Pol dieses sehr differenzierten Schaffens gilt einer noch weiteren Beschränkung des formalen Repertoires, wie im Bild "Der_weiße_Stein". Hier wird eine alltägliche Naturerscheinung unter den Händen der Künstlerin zu etwas Geheimnisvollem.
In diesem Zusammenhang ist auch "Der archaische Fisch" (1982) zu nennen. Hier sind es organische Formen, die sich durchdringen. Auch diese geheimnisvolle, symbolhafte Arbeit wirft Fragen und Rätsel auf. Gleitet dieses urtümliche Fabelwesen durch dämmrige Zonen eines Meeres oder durchdringt es verschiedenfarbige Wolkennebel des Himmels?
Alte, dunkle Saiten werden angerührt.

Indem die Malerin zurückschaut auf eine archaische Welt, möchte sie daran erinnern, wie in der kalten Geschäftigkeit und atemlosen Hektik unseres Lebens, vieles aus dem Blick geraten kann, was zu bedenken wichtig wäre.

Diese rätselhaften Darstellungen der Erna Dinklage scheinen jedoch im Kontext der bildenden Kunst keineswegs so isoliert zu sein, wie man zunächst vermuten könnte. Zu denken ist an die neu entdeckte Figuration in der Malerei der frühen 80er Jahre und mit Einschränkungen auch an die Arte_Cifra der Italiener, etwa an Cucchini, Paladino, Clemente und Chia. Sie geben den Rahmen ab, der eine neue Würdigung der Malerin, wie auch der Einmaligkeit ihrer unverwechselbaren Arbeiten, erlaubt.
Auch aus diesem Spätwerk gab es zahlreiche Ankäufe.

Die Hoffnungen, die Wilhelm Hausenstein 1930 in der "Süddeutschen Sonntagspost" formulierte, haben sich in vollem Umfang bestätigt: "Hier ist eine gute Kraft des jüngeren München, und ihre Zukunft wird uns nicht minder beschäftigen als ihre anziehende Gegenwart."

Der Begeisterung von Frau Dr. Anna Jutta Pietsch (Aspekte-Galerie im Gasteig) ist es zu danken, dass 1989 eine umfangreiche Ausstellung der Erna_Dinklage möglich wurde und drei Jahre später, 1992, eine Gedächtnis-Ausstellung. Sie hat mit beiden Ausstellungen des Spätwerkes der Erna_Dinklage das alte Talent der "Neuen_Sachlichkeit" wieder zu neuem Leben erweckt.